Der Landoberflächenabfluss wird nach folgenden Vorstellungen über seine Genese modelliert.
Wenn im Zuge der Abflussbildung Effektivniederschlag gebildet wurde, d.h. die Niederschlagsintensität die Infiltrationsintensität überschreitet oder Wasser exfiltriert, wird dieses Wasser entsprechend dem örtlich vorhandenen Mikrorelief[1] in Mulden gespeichert. Sind diese gefüllt, kann das „überlaufende“ Wasser entsprechend dem Gefälle abfließen. Dieses Wasser fließt zuerst als Schichtenabfluss ab und infiltriert wieder, wenn sich dafür die Bedingungen verbessern (zeitlich oder örtlich sinkende Niederschlagsintensität und/oder örtlich steigende Infiltrationsintensität). Wenn diese Bedingungen nicht eintreten, sammelt es sich zuerst entsprechend des örtlich vorhanden Mikroreliefs in sogenannten „micro channels“ und fließt in diesen weiter entsprechend dem Relief. Die Fließgeschwindigkeit wird bestimmt durch das Gefälle, die Oberflächenrauhigkeit, die abfließende Wassermenge und die benetzte Oberfläche (hydraulischer Radius).
Wie schon angedeutet, besitzt das Mikrorelief einen entscheidenden und sehr differenzierten Einfluss auf die Bildung und die Geschwindigkeit des Landoberflächenabflusses, und zwar auf
- a) die Kapazität des Muldenspeichers,
- b) den Übergang vom Schichten- zum Gerinneabfluss,
- c) die Gerinneform (hydraulischer Radius) und die Rauhigkeit.
Gleiche Oberflächenstrukturen (z.B. Fahrzeugspuren, Ackerfurchen) können je nach ihrer Ausrichtung als Muldenspeicher oder als Gerinne fungieren.
Andererseits liegt das Microrelief unter dem Auflösungsvermögen der für die Modellierung nutzbaren Informationsträger. Die Größen a) bis c) können nur unter Verwendung plausibler Annahmen geschätzt werden, so dass eine streng determinierte Modellierung des Landoberflächenabflusses praktisch nicht möglich ist.
Für die Berechnung der Fließgeschwindigkeit des Landoberflächenabflusses kommen Ansätze zur Anwendung, die auf der vielfach für diese Problemstellung angewendeten Potenzgleichung von MANNING-STRICKLER beruhen. Sie lautet:
wobei n [s/m1/3] ein Rauhigkeitsbeiwert (Manningbeiwert), S das Gefälle und R der hydraulische Radius ist. R ist definiert als der Quotient aus durchflossener Fläche A und benetztem Umfang U.
Diese Gleichung wird für den Schichtenabfluss unter der Annahme, dass die Breite von A sehr groß ist im Vergleich zur Höhe h (width channel approximation) zu
mit ns als Rauhigkeit der Landoberfläche.
Nach Integration über den Fließweg als Schichtenabfluss ergibt sich die Fließzeit Ts mit h = RO * T zu (vgl. z.B. GUPTA & SINCLAIR 1976, WILLGOOSE et. al 1991)
mit µ als Faktor zur Berücksichtigung unterschiedlicher Einheiten, µ=1 für RO in [m/s] und Ls in [m].
Konzentriert sich der Schichtenabfluss in einem Mikrogerinne, so lässt sich die Gerinneform i.d.R. durch ein Dreieck beschreiben, wobei dessen Seitenneigung stark durch das Geländegefälle geprägt wird. Für ein Dreiecksgerinne gilt nach WILLGOOSE et. al (1991)
wobei Q der Abfluss, ng die Gerinnerauhigkeit, ß =  / (4 * (1 + ²)) und  die Seitenneigung der Gerinnekanten ist.
Die Fließzeit Tg durch ein Gerinne der Länge Lg ergibt sich für Q=RO * Ae zu
µ=1 für RO in [m/s] und Lg in [m] und mit Ae in [m²] als Einzugsgebiet des Gerinnes.
Die Abschätzung der Fließlängen Ls und Lg hängt eng mit der Fragestellung zusammen, wann der anfängliche Schichtenabfluss in Rinnenabfluss übergeht bzw. wie dicht das Rinnennetz in der betrachteten Flächeneinheit ist.
Die Dichte des Gerinnenetzes wird in der klassischen Hydrologie durch die Flussdichte D beschrieben. Sie ist die Länge sämtlicher Flussabschnitte eines Einzugsgebietes, bezogen auf dessen Fläche. Die Flussdichte ist ein Maß für die relativen Anteile von Landoberflächen- und Gerinneabfluss. Sie wird bestimmt durch die Niederschlagsverhältnisse, das Geländegefälle, die Durchlässigkeit der Böden und die Vegetationsverhältnisse.
WILLGOOSE et. al (1991) gingen im Rahmen einer Modellierung der Genese von Gerinnenetzen u.a. von der Überlegung aus, dass Gerinnenetze prinzipiell raumfüllend sind. Raumfüllend bedeutet aber, dass Gerinnenetze sich in allen Maßstabsebenen ausbilden und nicht nur das eigentliche Flussnetz, sondern auch das potentielle Gerinnesystem, das nur während Abflussbildungsperioden Wasser führen kann, betrachtet werden muss. Dieses potenzielle Gerinnesystem wird entsprechend den Gefälleverhältnissen gebildet durch Erosionsprozesse bzw. durch die Tallinien entsprechend der Oberflächenstruktur nachgebildet. Mit kleiner werdendem Maßstab nimmt die Wahrscheinlichkeit zu, dass anthropogene Einflüsse wie Fahrzeugspuren und Ackerfurchen bevorzugte Fließwege darstellen und den Gefälleeinfluss überlagern.
Bei beliebiger Verfeinerung der Auflösung und unter Berücksichtigung seiner raumfüllenden Eigenschaft geht die Länge des Gerinnenetzes gegen unendlich, der Fließweg des Wassers als Schichtenabfluss gegen Null. Gleichzeitig wird aber die Tiefe des Gerinnes immer geringer, so dass es leicht ausufern kann. In diesem Fall ist die Abflusstiefe größer als die Gerinnetiefe und es ist wieder von einem Schichtenabfluss auszugehen.
Eine eindeutige Festlegung, wie lange Schichtenabfluss stattfindet, ist also nicht möglich, da
- dieser Übergang ereignisabhängig vom Effektivniederschlag abhängt,
- das Mikrorelief unterhalb der Auflösung des GIS liegt und damit auch nicht modellmäßig berücksichtigt werden kann,
- der anthropogene Einfluss auf das Mikrorelief nicht determiniert erfassbar ist.
Der Rauhigkeitsbeiwert nach MANNING ist nur experimentell bestimmbar. In der Literatur sind unterschiedlichste Angaben zur Größe von n zu finden. ROSS et al (1979) setzen für Wald 0.4, Acker 0.35, Weide 0.3, Ortschaften 0.25 und versiegelte Flächen 0.02 an, während PREIßLER (1978) eine Größenordnung tiefer liegt und für Wald 0.08, für verschiedene landwirtschaftliche Nutzungen zwischen 0.033 und 0.026 und für versiegelte Flächen 0.01 empfiehlt.
Auf Grund der großen Unsicherheiten bei der Festlegung der Rauhigkeitsbeiwerte, die für die Modellierung als zu optimierender Parameter angesehen werden müssen, wurde in der vorliegenden Modellversion auf eine Unterscheidung zwischen Schichtabfluss und Abfluss im Mikrogerinne verzichtet, weil dies letztlich mindestens einen weiteren freien Parameter bedeutet. Der Landoberflächenabfluss wird deshalb prinzipiell als Schichtenabfluss beschrieben.
[1] Unter Mikrorelief werden Oberflächenstrukturen wie Erosionsrinnen, Ackerfurchen, Hufeindrücke u.ä. verstanden. Es ist einerseits natürlich gegeben (z.B. kleinsträumige Deformationen der Oberfläche wie Mulden) und zeitlich stabil, zum anderen auch durch die Nutzung und den Bearbeitungszustand zeitlich sehr variabel beeinflusst.