Die phänologische Modellierung folgt der „Heat Unit Theory“. Dieser Temperatursummenansatz beruht auf der Annahme, dass das Wachstum der Vegetation vor allem von der Temperatur gesteuert wird (Boswell, 1926). Bei jeder Pflanze muss eine festgelegte Basistemperatur erreicht werden, bevor das Wachstum beginnt. Über dieser Schwellentemperatur beschleunigt sich das Wachstum mit steigenden Temperaturen bis zu einer Optimaltemperatur. Steigt die Tagesmitteltemperatur über die Optimaltemperatur, verlangsamt sich das Wachstum wieder. Jedoch wird z. Z. noch keine Maximaltemperatur, oberhalb derer es zu Pflanzenschäden kommt, berücksichtigt. Eine „Heat Unit“ (HU) ist dabei die Differenz aus der Mitteltemperatur eines bestimmten Tages und der pflanzenspezifischen Minimaltemperatur. Die Ausbildung bestimmter phänologischer Stadien erfolgt anhand pflanzenspezifischer kumulierter HU.
Das Pflanzenwachstum erfolgt direkt proportional zur zugehörigen HU, begrenzt durch Stressbedingungen (Temperatur, Wasser-, Nährstoffmangel). Eine zentrale Stellung kommt dabei der Entwicklung des Blattflächenindex zu. Abb. 4‑3 zeigt die „optimal leaf area development curve“ in Abhängigkeit von den akkumulierten Wärmeeinheiten und sortenspezifischen Parametern. Alle übrigen Vegetationsgrößen (Biomasse, Ertrag, Wurzeltiefe, etc.) sowie die potenzielle Nährstoff- und Wasseraufnahme werden direkt oder indirekt in Abhängigkeit vom LAI berechnet.

Abb. 4‑3: Entwicklung des Blattflächenindexes LAI entsprechend der akkumulierten Wärmesummen frPHU
Blattflächenindex
Für ein- und mehrjährige Pflanzen wird die am Tag i potenziell hinzugekommene Blattfläche wie folgt berechnet:
(10)
mit
(11)
(12)
(13)
(14)
HU heat unit [K]
PHU potential heat units = benötigte Wärmesummen bis zum Erreichen der Reife (pflanzenspezifisch) [K]
frPHU Anteil der potenziell akkumulierbaren Wärmeeinheiten PHU
frLAImax Anteil des maximalen Blattflächenindexes, der zu der aktuellen HU dieser Pflanze korrespondiert
LAImax maximal erreichbarer Blattflächenindex (Pflanzenartspezifisch)
frPHU1 Anteil der potenziell akkumulierbaren Wärmeeinheiten bei frLAImax1 (erster Formparameter der optimalen LAI-Entwicklungskurve)
frPHU2 Anteil der potenziell akkumulierbaren Wärmeeinheiten bei frLAImax2 (zweiter Formparameter der optimalen LAI-Entwicklungskurve)
frLAImax1 Anteil des maximalen Blattflächenindexes, bei frPHU1
frLAImax2 Anteil des maximalen Blattflächenindexes bei frPHU2
l1,l2 Formfaktoren der optimalen LAI-Entwicklungskurve
Für Bäume gilt[1]:
(15)
γrcur aktuelles Baumalter [a]
γrfulldev Baumalter bei voller Entwicklung [a]
Das potenzielle Wachstum wird durch ungünstige Lufttemperaturen, Wasser- und Nährstoffmangel reduziert. Der Stressfaktor γreg (0, 1) wird wie folgt täglich berechnet:
γW Trockenstress [-]
γLT Temperaturstress [-]
γN Stress durch Stickstoffmangel [-]
γP Stress durch Phosphormangel [-]
(17)
ETRp potenzielle Transpiration [mm/d] (s. Kapitel 2)
ETR aktuelle Transpiration [mm/d]
(18)
LT Lufttemperatur (Tagesmittel) [°C]
Tbase Basistemperatur für das Pflanzenwachstum [°C]
Topt Optimaltemperatur für das Pflanzenwachstum [°C]
(19)
(20)
φn Skalierungsfaktor für N-Mangelstress [-]
bioN Stickstoffmenge in der Pflanzenbiomasse [kg N/ha]
bioN,opt optimaleStickstoffmenge in der Pflanzenbiomasse für den aktuellen Entwicklungszustand [kg N/ha], s. Kapitel 4.4.4
Der Phosphormangelstress γP wird analog mit dem Parameter bioP,opt berechnet.
Da VEGEN auch allein zur Wasserhaushaltssimulation ohne Simulation des C/N- und des Phosphorhaushaltes genutzt werden kann, werden in diesem Anwendungsfall die beiden Nährstoffstressterme modellintern auf Null gesetzt.
Der aktuelle Blattflächenindex berechnet sich somit unter Berücksichtigung des Stressfaktors zu
(21)
γreg – täglicher Stressfaktor (0,1)
Mit Erreichen einer Entwicklungsstufe, ab der die Seneszenz der dominierende Wachstumsprozess wird (frPHU,sen), beginnt die Blattalterung. Die Abnahme des Blattflächenindex wird nun wie folgt berechnet:
Annuelle und mehrjährige Pflanzen:
(22)
Bäume:
(23)
Vegetationshöhe
Die Vegetationshöhe hc von landwirtschaftlichen Pflanzen wird dann über folgende Gleichung bestimmt:
(24)
hc – Vegetationshöhe [m]
hc,max – maximale Vegetationshöhe (sortenspezifisch) [m]
Die Vegetationshöhe von Bäumen wird nach folgendem Verfahren ermittelt:
(25)
Wurzelentwicklung
Die Wurzelentwicklung basiert ebenfalls auf dem Konzept der „Heat Units“. Der Biomasseanteil der Wurzeln an der gesamten Biomasse frroot variiert zwischen 0,4 bei Wachstumsbeginn und 0,2 bei voller Entwicklung (Neitsch et al., 2005):
(26)
Die Berechnung der Wurzeltiefe zroot variiert mit den verschiedenen Pflanzenarten. Es wird angenommen, dass mehrjährige Pflanzen und Bäume Wurzeln besitzen, die bis zur sortenspezifischen maximalen Tiefe zroot,max reichen, wenn der Boden soweit durchwurzelbar ist. Ansonsten wird die Wurzeltiefe vom Boden vorgegeben. Für annuelle Pflanzen wird die Wurzeltiefe wie folgt berechnet:
(27)
Biomassezuwachs
Die Zunahme der Biomasse Δbio pro Tag hängt von der spezifischen „radiation-use-efficiency“ RUE einer Pflanze und der aktuell aufgenommenen photosynthetisch aktiven Strahlung Rphosyn ab (Monteith, 1977). Sie wird über den Stressfaktor γreg (Gleichung 16) begrenzt.
(28)
bio Biomasse [kg/ha]
RUE „radiation-use-efficiency“ [kg/ha (MJ/m²)-1]
Rphosyn photosynthetisch aktive Strahlung [MJ/m²]
Die durch die Pflanze aufgenommene photosynthetisch aktive Strahlung wird nach dem Beer-Gesetz (Monsi & Saeki, 1953) berechnet:
(29)
Rg Globalstrahlung [MJ/m²]
kl Lichtextinktionskoeffizient (-0,65 für alle Pflanzentypen)
LAI Blattflächenindex
Entsprechend Stockle und Kiniry (1990) wird die RUE durch das Dampfdruckdefizit vpd gesteuert:
(30)
RUEvpd=1 „radiation-use-efficiency“ einer Fruchtart bei einem Dampfdruckdefizit von 1 kPa [kg/ha (MJ/m²)-1]
vpdthr Schwellenwert für das Dampfdruckdefizit (=1 kPA für alle Pflanzen)
Δruedcl Abnahme der RUE mit Anstieg des Dampfdruckdefizits [kg/ha (MJ/m²)-1kPa-1]
[1] Mehrjährige LAI-Berechnung für Bäume z.Z. noch nicht implementiert