02.5 Bodenkapillarwasserhaushalt – BOKA

Als Bodenkapillarwasser wird das Bodenwasser verstanden, das durch die Kapillarkräfte ge­gen die Schwerkraft gehalten werden kann, al­so der Feuchtegehalt bis Feldkapazität. Dieses Wasser kann nur durch Transpiration und Evaporation aus­ge­schöpft werden. Die Aus­schöp­fungstiefe bzw. die Mächtigkeit der wechsel­feuchten Bodenzone wird dementsprechend durch die „Einflusstiefe“ der Ve­ge­ta­tion (i.A. die Wurzeltiefe) und auf vegetationsfreien Stand­orten oder vegetationsfreien Perioden durch die „Einflusstiefe“ der Evapo­ra­tion, also im Wesent­lichen durch die Boden­eigenschaften (kapillare Saugspannung) be­stimmt. Damit kann der Wasser­gehalt eines ungesättigten Standortes zwi­schen Feldkapazität FK und permanentem Welkepunkt PWP bzw. im Be­reich des pflanzenverfügbaren Wassers (FK-PWP) schwanken. Die Spei­cherkapazität der wechselfeuchten Bodenzone HS ergibt sich da­mit zu (FK-PWP), bezogen auf die Mächtigkeit der verdunstungsbe­ein­flussten Bodenschicht (i.A. die Wurzeltiefe).

Innerhalb eines hydrologischen Modells besitzt die Modellierung des Bodenkapillar­wasser­haushaltes dieser wechselfeuchten Bodenzone entscheidende Bedeu­tung, weil hier wich­tige Abflussbildungs­pro­zes­se wie die Infiltration über die Feuchte und die Sicker­was­ser­bil­dung gesteuert werden.

Eingangsgröße für die Modellierung des Bodenkapillar­wasser­haus­hal­tes ist der infiltrierende Niederschlagsanteil PB.

Da die flächenhaf­ten Unterschiede der Bodenspeicherkapazitäten meist erheblich sind, soll­ten sie berücksichtigt werden, selbst bei der Betrachtung relativ kleiner, „homogen“ erschei­nender Teil­flä­chen. Dies lässt sich wie folgt begrün­den :

Im Boden sind allgemein bevorzugte Sickerwege vorhanden (Makropo­ren), längs derer ein­sickernde Niederschläge schneller in tie­fere Boden­schichten gelangen können als bei völlig homoge­nen Boden­ver­hält­nissen. Sobald das Bodenkapillar­wasserdefizit in der Umgebung dieser Sic­kerwege aufgefüllt ist (sobald also der Bodenkapillar­was­ser­vorrat des gesamten Bodenpro­fils WSA größer ist als ein vor­ge­gebener unterer Grenzwert HSMmin – der deutlich unter der mitt­le­ren Kapillarwasser­speicherkapazität der be­trachteten Flächenein­heit liegen kann – kann be­reits Sickerwas­ser PSO im Boden anfal­len.

Die anfal­lende Sickerwassermenge PSO wird mit zu­nehmenden WSA kontinu­ierlich größer und sie kann (bei Annähe­rung von WSA an den teilflä­chenbezogenen Maximalwert HSMmax, vergl. Abbildung 2-4) die Größe des Gesamtwasser­angebotes PB errei­chen.

An dieser Stelle ist es notwendig, den Unter­schied zwischen der auf einen Einzelstandort (ein Bodenprofil) bezo­genen Speicherka­pa­zi­tät des Bodens für Kapillarwasser HSM (als profilbezo­gene Spei­cher­höhe) und dem ent­spre­chenden, auf eine größere Fläche bezoge­nen Speicher­vorrat (-volumen) zu be­trachten. Beide haben formal nur dann die gleiche Di­mension (mm), wenn die Bezugsfläche gleich 1 ge­setzt wird und alle Teilflächen in Bruchteilen von 1 und damit ebenfalls di­mensionslos angegeben werden. Der zuvor er­läuterte Unter­schied muss unbedingt beachtet werden bei der Er­mitt­lung dieser Modellpa­rameter aus Standortkennwerten.

Nachfolgend wird die speicher­vo­lu­men­be­zo­ge­ne Betrachtung zugrun­de ge­legt (WSA usw.). Hierbei er­gibt sich der Flächen­an­teil x von AF, auf dem noch freier Spei­cher­raum für Bodenka­pil­lar­wasser vor­handen ist, aus dem aktuellen Boden­ka­pil­larwasser­vor­rat WSA der Fläche AF an Hand der ge­ne­ra­li­sier­ten HSM-Linie in Abbildung 2-4 (jeweils als rechts von dieser Linie lie­gen­der Flächen­an­teil). Auf diesem An­teil trägt die ge­samte Infiltration PB zur Auf­füllung des Boden­ka­pil­lar­wasser­vorrats bei, während sich auf dem restlichen Anteil (1-x) Sicker­wasser bildet.

 

image

Abbildung 2-4: Reale und ver­all­ge­meiner­te Ver­teilung der Boden­kapil­lar­was­ser­speicher­kapazität

 

Solange WSA kleiner ist als WSC, wird die Infiltration auf der ge­samten Fläche zu Bo­den­kapillarwasserrückhalt, d.h. sie trägt insgesamt zur Erhöhung der Bodenkapillarwasser­spei­cher­men­ge WSA bei. Die mo­mentane Auf­füllungs­intensität von WSA ist dann gleich der aktuellen Infiltrations­rate PB/DT (Flä­chen­mittelwert der Infiltra­tionsrate, bezogen auf das Zeit­in­ter­vall DT) :

 

\fn_jvn dWSA/dt= (PB/DT)
Gl. 2-16

 

Es sei erwähnt, dass sich diese Gleichung aus dWSA/dt = X * (PB/DT) Gl. 2-18 mit x=AFP/AF=1 ergibt. Durch Integration über DT erhält man den Ge­samt­feuchtezuwachs DWSA=WSA-WSA1 (mit WSA1 als Speicherfüllung zu Beginn von DT) :

 

\fn_jvn DWSA= PB
Gl. 2-17

 

Ist WSA größer als WSC, so ist dWSA/dt= (PB/DT) Gl. 2-16 nur noch auf dem An­teil X der Fläche AF gültig, wo WSA noch kleiner als das lo­kale WSM ist (rechtes oberes Dreieck in Abbildung 2-4) :

 

\fn_jvn dWSA/dt = X\cdot (PB/DT)
Gl. 2-18

 

Hier kann X durch WSA ausge­drückt werden :

 

\fn_jvn X/1 = (WSX-WSA)/(WSX-WSC)

Gl. 2-19

Durch Einsetzen von X in Gl. 2-18 ergibt sich

 

\fn_jvn dWSA/dt = PB/DT \cdot (WSX-WSA)/(WSX-WSC)
Gl. 2-20
 

Hier repräsentiert D= (WSX-WSA) ein Bodenfeuchtedefizit, mit dem Gl. 2-20 umgeschrieben werden kann :

 

\fn_jvn dD/dt = PB/DT \cdot  D/(WSX-WSC)
Gl. 2-21

 

Unter der Annahme, dass wäh­rend des Zeitschrittes DT PB = const. ist und das Defizit von D1 auf D abnimmt, wird folgende Lösung er­halten :

 

\fn_jvn ln \; D -ln \; D1 = -PB/(WSX-WSC)
 Gl. 2-22

 

\fn_jvn D = D1 \cdot exp(-PB/(WSX-WSC))
Gl. 2-23

 

Der Bodenkapillarwasserrückhalt DWSA = D1-D = WSA-WSA1 ergibt sich da­nach mit D1 = (WSX-WSA1) zu :

\fn_jvn DWSA = \left (WSX-WSA1 \right )\cdot \left ( 1-exp\left ( -PB/\left ( WSX-WSC \right ) \right ) \right ) Gl. 2-24

 

 

Für WSA folgt daraus :

 

\fn_jvn WSA = WSA1+DWSA
Gl. 2-25

 

Die interessierende Bodensickerwas­serbildung PSO der Teilfläche AF im Zeitintervall DT, die als Hauptein­gangsgröße der nachfolgen­den Ab­flusskonzentrationsmodelle benötigt wird (hypodermischer Abfluss und Grund­wasserabfluss), erhält man wie folgt :

 

\fn_jvn PSO = PB - DWSA
Gl. 2-26

 

Alle diese Gleichungen gelten für Zeitintervalle beliebiger Länge, so­fern für sie in ausrei­chender Näherung PB = const. gesetzt wer­den kann. Diese Bedingung erfordert, dass beim Rechnen mit Zeitschritten größer als ein Tag eine Unterteilung des Zeitschrittes in minde­stens zwei Teilzeitintervalle erfolgen muss (eine Nieder­schlagsperiode und eine niederschlags­freie Periode).

Analoge Ansätze und Ableitungen ergeben sich für den Prozess der Bodenkapillar­wasseraus­schöpfung durch Evapotranspiration in nie­der­schlagsfreien oder -armen Perioden. Auf ihre Wiedergabe wird hier verzichtet, da die gleichen Arbeitsschritte wie oben voll­zo­gen werden. Bemerkenswerte Unterschiede sind nur, dass die Ein­gangs­größe PB = PO (als Verdunstungs­anspruch) negativ ist und auf Grund des bekannten Hystereseeffekts im Bodenfeuchteregime mit der in Abbildung 2-4 gepunktet eingetragenen Funktion gerech­net werden muss. Die resultie­renden Berechnungs­gleichungen lauten:

Wenn WSA größer als WSG ist, gilt gemäß DWSA= PB Gl. 2-17 :

 

\fn_jvn DWSA = PB
Gl. 2-27

 

Wenn WSA kleiner als WSG ist, gilt analog DWSA = (WSX-WSA1)*(1-exp(-PB/(WSX-WSC))) Gl. 2-24:

 

\fn_jvn DWSA = -WSA1\cdot (1-exp(PB/WSG))
Gl. 2-28

 

DWSA repräsentiert hier den aus dem Bodenkapillarwasservorrat aus­ge­schöpften Verdun­stungsanteil der Fläche AF, wobei nach Gl. (2-25) WSA = WSA1+DWSA gilt. Aus Gl. (2-28) ergibt sich DWSA dem Be­trag nach kleiner als PB, d.h. es entsteht eine Verdun­stungs­re­duk­tion ED (als positive Größe), um die die reale Gebietsverdunstung zu reduzieren ist :

 

\fn_jvn ED = -(PO-DWSA)
Gl. 2-29

 

Die bisher diskutierten Überlegun­gen be­rück­sichtigen flächenhafte Un­ter­schiede der Spei­cherkapazität des Bo­dens für Kapillar­wasser, nicht jedoch die vertikale Vertei­lung der jewei­ligen aktuellen Spei­che­rung. Dies entspricht teilweise nur sehr unzu­reichend den re­alen Ver­hältnis­sen, die dadurch gekenn­zeich­net sind, dass die Neu­auffül­lung des Bo­dens mit Wasser wie auch die Wieder­aus­schöp­fung stets von der Bodenober­fläche her er­folgt, d.h. zu­nächst im­mer die betrachte­te Gesamt­fläche betrifft. Ausgehend davon wurde ein Zwei­schichtkon­zept entwi­ckelt, nach wel­chem die Auf­fül­lungs- und Aus­schöp­fungs­berechnungen wie folgt ablaufen.

Es gibt einen oberen Speicher (erste Schicht) mit der Speicher­ka­pa­zität HSC, während ein unterer Speicher (zweite Schicht) durch den Parameter HSX ge­kenn­zeich­net ist (Abbildung 2-4 und Abbildung 2-5a).

Die Spei­cher­kapa­zi­tät des unter­en Spei­chers be­trägt 0.5* (HSX-HSC) bzw. WSX-WSC. Auf diese Weise erfolgt die Be­rück­sichti­gung der flä­chenhaf­ten Verteilung der Kapillar­wasser­spei­cherka­pazität.

Der obere Speicher ist gleichmä­ßig über die gesamte Bezugs­fläche verteilt. In Nieder­schlag­sperioden wird er bis HSC aufge­füllt. Weite­res ankommende Nie­der­schlags­was­ser sic­kert in den unteren Spei­cher (Abbildung 2-5b).

Analog erfolgt in niederschlags­freien bzw. -ar­men Pe­rio­den zu­nächst eine Aus­schöp­fung bis HS=0, erst dann be­ginnt die Aus­schöpfung des unteren Spei­chers (Abbildung 2-5c). Ausschöp­fung und Auf­fül­lung des unteren Spei­chers fin­den also nur statt, wenn der Out­put des obe­ren Spei­chers ungleich Null ist, d.h. wenn die erste Schicht ent­weder völlig leer oder voll gefüllt ist. Damit wird berück­sich­tigt, dass alle Spei­cher­ände­rungsprozesse von der Bo­den­ober­fläche her erfolgen.

Im unteren Speicher werden maxi­mal zwei Bodenkapillarwas­ser­schich­ten betrachtet. Ent­spre­chend dem genann­ten Grundsatz wird stets zuerst die obere Teil­schicht ausgeschöpft bzw. aufge­füllt, danach die untere.

Zur Beschreibung der Lage dieser Teil­schichten werden die Varia­blen HLA, HLE und HLF ver­wen­det (Tabelle 2‑1, vgl. Abbildung 2-5).

Grundsätzlich gilt: HLA < HLE < HLF

Fall 1: ein Feuchteblock von 0 bis HLA „oben“

Fall 2: ein Feuchteblock von HLE bis HLF „schwebend“

Fall 3: zwei Feuchteblöcke, einer von 0 bis HLA „oben“, ein wei­te­rer von HLE bis HLF „schwebend“

Wenn 2 Feuchteblöcke ausgebildet sind, und es tritt ein Ausschöp­fungs­intervall ein, so erfolgt zu Beginn desselben eine Zusammen­legung der beiden Teilschichten bei der mittleren Be­zugsordinate. Diese Maßnahme, die den Berechnungsgang bemerkenswert verein­facht, kann damit gerechtfertigt werden, dass das Gesamt­volumen des ge­spei­cher­ten Bodenkapillarwassers nicht verändert wird und dass die Feuch­teumlagerung folgenden zwei Umständen gerecht wird:

 

image

Abbildung 2-5: Prinzipskizzen zum Zwei­schichtkonzept

 

Tabelle 2‑1: Variablen zur Be­schrei­bung des unte­ren Spei­chers

Variable zulässiger Bereich mögliche Fälle
  1 2 3
HLA 0 bis HLE 0 0 > 0
HLE HLA bis HLF 0 > 0 > 0
HLF 0 bis HSX-HSC > 0 > 0 > 0

a) die Einsickerung erfolgt in bevorzugten Sickerbahnen, was dazu führt, dass unterhalb der ersten Schicht ein bestimmter Flächen­an­teil vom Sickerwasser schwerer erreicht wird;

b) tiefwurzelnde Pflanzen schöpfen auch aus größerer Tiefe Was­ser, selbst wenn in höher gelegenen Schichten noch Wasservorräte vor­handen sind.

In nicht durch Ausschöpfungs­intervalle unter­brochenen Auf­fül­lungs­pe­rioden oder bei gro­ßem positiven Input wächst der Kapil­lar­was­ser­vorrat der zwei­ten Schicht zunächst von HLA bis HLE. Dann ent­steht ein einheitlicher Feuchteblock von 0 bis HLA=HLF und HLA kann wei­ter an­steigen.

Der obere Speicher ist direkt durch Verdunstung ausschöpf­bar. Kann der Bedarf durch den oberen Speicher nicht abge­deckt werden, kommt es zu einer Aus­schöpfung des unteren Spei­chers. Hier findet al­ler­dings eine Redu­zierung der potentiel­len Verdunstung um einen An­teil ED statt, der aus dem ver­fügbaren Bodenwasservorrat nicht ab­ge­deckt werden kann.

Für ED gelten folgende Berech­nungsformeln:

\fn_jvn \small eine \; Teilschicht \; {}''oben{}'':\; ED = FL^{2}/(2\cdot (HSX-HSC)) Gl. 2-30

 

\fn_jvn \small eine \; Teilschicht \; {}''schwebend{}'':\; ED = FL\cdot \left (0.5\cdot FL-HLE \right )/\left (HSX-HSC \right ) Gl. 2-31

Die in Auffüllungsintervallen des unteren Speichers entstehende Sicker­wasser­menge PSO wird berechnet mit:

 

\fn_jvn PSO = FL\cdot (0.5\cdot FL+HL)/(HSX-HSC)
Gl. 2-32

 

FL Output des oberen Spei­chers
HL Füllung des unteren Spei­chers am Ende des Berech­nungs­zeitschrittes

 

Bei den bisherigen Ausführungen zum Bodenwasserhaushalt wurde immer davon ausgegangen, dass eine Auffüllung der Bodenfeuchte nur von „oben“, also letztlich durch den Niederschlag erfolgt. Auf grundwasserbeeinflussten bzw. -nahen Standorten kann allerdings auch eine Auffüllung der wechselfeuchten Bodenzone durch Kapillaraufstieg, also von „unten“ erfolgen. Für diesen Fall vereinfachen sich die bisher beschriebenen Modellalgorithmen. Als grundwassernah wird definitions­gemäß ein Standort oder eine Fläche dann bezeichnet, wenn der Grund­wasser­spiegel die wechselfeuchte Bodenzone erreicht oder innerhalb dieser liegt.

Diese wird durch den Ausschöp­fungsbereich der Evapotran­spiration bzw. die durchwur­zelte Bodenzone begrenzt.

Für grundwassernahe Standorte wird ein auftretendes Bodenfeuchtedefizit durch den Kapillaraufstieg aufgefüllt, der als negative Grundwasserneubildung PSO nach Gl. (2-26) berechnet wird. Die reale Verdun­stung ist gleich der potentiel­len.

Das bedeutet letztlich, im stationären Zustand bzw. für als grundwassernah klassifizierte Flächen ist der Kapillaraufstieg gleich der potentiel­len Verdun­stung. Im instationären Zustand, wenn zeitlich veränderliche Grundwasserflurabstände berücksichtigt werden oder das Bodenwas­serhaus­halts­modell mit einem Grund­wasser­modell gekoppelt ist, wird auch der Wechsel einer Fläche von grund­wasserfern zu -nah und umgekehrt berücksichtigt. Erreicht der zeitlich variable Grund­wasser­stand den Bereich der Wurzelzone, wird das aktuelle Bodenfeuchtede­fizit aufgefüllt.

Nach oben scrollen